Multikriterielle Bewertung der Umweltbelastung im Weinbausektor – Ökobilanz (LCA): Allgemeine Grundsätze der Durchführung der Bewertung und der Mitteilung der Ergebnisse

Status: In Kraft

Multikriterielle Bewertung der Umweltbelastung im Weinbausektor – Ökobilanz (LCA): Allgemeine Grundsätze der Durchführung der Bewertung und der Mitteilung der Ergebnisse

RESOLUTION OIV-VITI 640-2020

MULTIKRITERIELLE BEWERTUNG DER UMWELTBELASTUNG IM WEINBAUSEKTOR – ÖKOBILANZ (LCA): ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE DER DURCHFÜHRUNG DER BEWERTUNG UND DER MITTEILUNG DER ERGEBNISSE

DIE GENERALVERSAMMLUNG,

GESTÜTZT auf Artikel 2 Absatz 2 b) i des Übereinkommens vom 3. April 2001 zur Gründung der internationalen Organisation für Rebe und Wein,  

GESTÜTZT auf die Resolutionen:

OIV-CST 1/2004, in der die Definition, die Ziele und die Umsetzungsschritte des nachhaltigen Weinbaus festgelegt sind, 

und OIV-CST 518-2016, die die fünf allgemeinen Grundsäte des nachhaltigen Weinbaus unter Berücksichtigung ökologischer, sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Aspekte vorgibt, 

IN ANBETRACHT der Veröffentlichungen internationaler Organisationen wie der ISO[1]  (Internationale Organisation für Normung) und der Gemeinsamen Forschungsstelle[2] (GFS), der  Arbeiten und Ergebnisse der Europäischen Plattform für Ökobilanz sowie der Arbeiten, die im Weinsektor im Rahmen des Weiprojekts[3]  „Product Environmental Footprint Category Rules (PEFCRs)” durchgeführt wurden,

IN ANBETRACHT der wissenschaftlichen Studien und Vorschläge, die den multifaktoriellen ökologischen Fußabdruck des Weinbaus hervorheben, und der Notwendigkeit, auf diese Fragen einzugehen,

IN ANBETRACHT der Notwendigkeit, die Fortschritte der Akteure des Weinbausektors im Hinblick auf das Management der Umweltauswirkungen zu bewerten,

IN DER ERWÄGUNG, dass die Hersteller über die Umweltauswirkungen ihrer Tätigkeiten informiert werden müssen und ihnen ermöglicht werden muss, Ökodesign-Maßnahmen durchzuführen, 

IN ANBETRACHT der Fortschritte, die die OIV bei der Festlegung von Methoden für die Bilanzierung von Treibhausgasen durch die Resolutionen OIV-CST 431-2011 „Allgemeine Grundsätze der Treibhausgasbilanzierung im Weinbausektor“ und OIV-CST 503AB-2015 „Treibhausgasbilanzierung im Weinbausektor – anerkannte Gase und Bestandsaufnahme der Emissionen und ihrer Sequestrierung“ erzielt hat,

IN ANBETRACHT der Notwendigkeit, öffentliche Strategien mit quantitativen und qualitativen Zielen zu entwickeln,

IN ANBETRACHT der Notwendigkeit, den Verbrauchern transparente und verständliche Informationen über die Umweltverträglichkeit von Weinbauerzeugnissen auf der Grundlage wissenschaftlicher Informationen bereitzustellen,

BESCHLIESST zur Erreichung dieser Ziele,

Die Bedeutung der Bewertung des gesamten ökologischen Fußabdrucks der weinbaulichen Erzeugung anzuerkennen, um geeignete Aktionspläne aufzustellen, 

Den Mitgliedstaaten zu empfehlen, die Anwendung des Verfahrens der Lebenszyklusanalyse (LCA) als erfolgreichstes Instrument zur globalen und multikriteriellen Bewertung der Umweltauswirkungen von Produktsystemen zu fördern.  

Die Lebenszyklusanalyse (LCA) besteht aus einer Bewertung der potenziellen Umweltauswirkungen einer Ware/Dienstleistung/eines Systems während des gesamten Lebenszyklus. Sie basiert auf der Bestandsaufnahme der Zu- und Abflüsse während des Lebenszyklus, gefolgt von der Charakterisierung ihrer Umweltauswirkungen.

Als „Fluss“ wird jede in das Produktionssystem eingehende oder aus diesem austretende Bewegung von Material und Energie betrachtet. Für ein Weinbauprodukt zählen zu den Zuflüssen: Wasser, elektrische Energie, fossile Brennstoffe, Rohstoffe, Betriebsmittel für Weinberge und Kellereien (Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, önologische Produkte, Zusatzmaterialien, usw.). Beispiele für Abflüsse sind Abfall, gasförmige Emissionen, Abwässer, Nebenprodukte, dissipierte Energie, direkte Freisetzungen[4]  aus dem Feld, usw.

Im Zusammenhang mit einem Weinbauerzeugnis zeichnet sich die Ökobilanz durch folgendes aus:

  • einen Lebenszyklus-Ansatz

Bei der Bestandsaufnahme der Produktflüsse werden alle Lebenszyklusstadien eines Produkts berücksichtigt: Energie, Wasser, Kohlenstoff, alle notwendigen Inputs (Rohstoffe, Betriebsmittel für Weinberge und Kellereien) sowie Abfälle und Emissionen, die bei der Rohstoffgewinnung für Inputs, der Brennstoff- und Geräteherstellung, dem Transport, der Produktion, der Verteilung, dem Verbrauch und am Ende der Lebensdauer des Produkts entstehen.

Durch einen solchen systematischen Überblick und eine solche Sichtweise kann die Verschiebung einer potenziellen Umweltbelastung zwischen Lebenszyklusphasen oder einzelnen Prozessen ermittelt und möglicherweise reduziert oder vermieden werden.

  • einen multikriteriellen Ansatz

Die Ökobilanz beruht auf mehreren Kriterien für die Analyse der Zuflüsse und Abflüsse, die als Wirkungskategorien bezeichnet werden.

Stoff- und Energieflüsse werden anhand geeigneter Kriterien quantifiziert, aggregiert und dann mit Charakterisierungsfaktoren multipliziert, die für jeden Stoff und jede Wirkungskategorie spezifisch sind, um potentielle Auswirkungen zu quantifizieren. Die Komplexität der Phänomene und ihrer Wechselwirkungen ist eine Quelle der Unsicherheit über den tatsächlichen Grad der Auswirkungen, weshalb sie als „potentiell“ bezeichnet werden.

Für die Quantifizierung direkter Freisetzungen aus dem Weinberg müssen spezifische Berechnungsmodelle verwendet werden.

  • einen Relativen Ansatz, bei dem eine funktionelle Einheit im Mittelpunt steht

Die Ökobilanz bewertet die potenziellen Umweltauswirkungen eines Produkts. Sie orientiert sich an einer funktionellen Einheit, die die Hauptfunktionen der untersuchten Ware/Dienstleistung/des Systems festlegt. Die funktionelle Einheit definiert den Untersuchungsgegenstand. Alle nachfolgenden Analysen beziehen sich auf diese funktionelle Einheit.

Im Weinbausektor wird als funktionelle Einheit häufig die Standardflasche Wein (0,75 L) verwendet. Je nach den Zielen der Untersuchung kann es sich aber auch um Hektar der in einem bestimmten Zeitraum mit Reben bepflanzten Fläche, um Kilogramm Trauben usw. handeln. 

  • einen mehrstufigen Ansatz

Die Ökobilanz ist ein iteratives Verfahren. Bei den einzelnen Phasen einer Ökobilanz werden die Ergebnisse anderer Phasen verwendet. Der iterative Ansatz innerhalb und zwischen den Phasen trägt zur Vollständigkeit und Konsistenz der Studie und der ausgewiesenen Ergebnisse bei.

  • ein Verfahren nach internationalen Standards

Die Norm ISO 14040: 2006 „Umweltmanagement - Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen“ legt die Grundsätze und Rahmenbedingungen einer Lebenszyklusanalyse (LCA) fest und die Norm ISO 14044:2006 „Umweltmanagement – Ökobilanz – Anforderungen und Anleitungen“ legt die Anforderungen fest und gibt Leitlinien für die Lebenszyklusanalyse. Beide Normen umfassen folgende Aspekte: 

  • Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens der Ökobilanz,
  • Sachbilanz-Phase,
  • Phase der Wirkungsabschätzung,
  • Auswertungsphase,
  • Bericht über die Ökobilanz und deren kritische Prüfung,
  • Einschränkung der Ökobilanz,
  • Zusammenhang zwischen den Phasen einer Ökobilanz,
  • Bedingungen der Anwendung von Werthaltungen und optionalen Bestandteilen.

EMPFIEHLT, in einem LCA-Ansatz die folgenden möglichen Umweltauswirkungen[5]  als die relevantesten zu betrachten[6] :

  • Klimawandel
  • Ozonabbau
  • Anorganische Substanzen und ihre Auswirkungen auf die Atmungsorgane
  • Toxizität für den Menschen
  • Ionisierende Strahlung
  • Ökotoxizität
  • Bildung troposphärischen Ozons
  • Versauerung (Boden und Wasser)
  • Terrestrische Eutrophierung
  • Aquatische Eutrophierung
  • Landnutzung
  • Ressourcenverbrauch
  • Wasserverbrauch und -verschmutzung
  • Verlust an biologischer Vielfalt [7]

EMPFIEHLT, für eine genaue Bewertung auf der Grundlage wissenschaftlich validierter Ergebnisse folgendes zu fördern:

  • Untersuchung der methodischen Aspekte der Bewertung des ökologischen Fußabdrucks für alle Wirkungskategorien
  • Ansammlung von Wissen über die beobachteten Werte dieser Fußabdrücke für alle repräsentativen Produkte des Sektors
  • Entwicklung von Instrumenten, die eine praktische Anwendung der Methodik im Weinbausektor ermöglichen (Entwicklung und Verbreitung von Datenbanken, Berechnungswerkzeuge, usw.)
  • Ergebnisse laufender und künftiger wissenschaftlicher Studien

EMPFIEHLT, für die Durchführung einer Lebenszyklusanalyse eines Weinbauerzeugnisses folgende Grundsätze anzuwenden:

  • Der Rahmen und die Systemgrenzen sollten so weit wie möglich gesteckt werden, die Wertschöpfungskette einbeziehen und technisch umsetzbar sein.
  • Die Produktkategorien Trauben und Wein sollten entsprechend den Zielen der Untersuchung und der festgelegten funktionellen Einheit behandelt werden.
  • Funktionale Einheiten müssen entsprechend den Besonderheiten des untersuchten Erzeugnisses definiert werden. 

EMPFIEHLT, die in den Normen ISO 14026 und ISO 14040 festgelegten Regeln für die Kommunikation der Ergebnisse einer Ökobilanz zu befolgen. 


[1] ISO 14040:2006 Umweltmanagement – Ökobilanz – Grundsätze und Rahmenbedingungen

ISO 14044:2006 Umweltmanagement – Ökobilanz – Anforderungen und Anleitungen (und ihre Änderung ISO 14044:2006/AMD:2017

[2] ILCD-Handbuch

[3] Weinprojekt PEFCR – Regeln zur Bewertung des ökologischen Fußabdrucks eines Weins auf der Grundlage internationaler Methoden (ILCD-Handbuch)

[4] Direkte Freisetzung: Abfluss von Schadstoffen, die direkt aus dem untersuchten System emittiert werden. Bei einem bewirtschafteten Feld wie z.B. einem Weinberg sind dies z.B. Stickstoffverbindungen (N2O, NO3-, NOx und NH3), Schwermetalle (Cu, Zn, Hg, Cr, usw.), Phosphor, Pestizidwirkstoffe und Emissionen aus der Treibstoffverbrennung usw., die auf dem Feld entstehen.

[5] ILCD Handbook. Analysis of existing Environmental Impact Assessment methodologies for use in Life Cycle Assessment. Joint Research Center (JRC).

[6] Durch die Product Environmental Footprint Category Rules (PEFCRs) für stille Weine und Schaumweine (Tabelle 4, Datum der Veröffentlichung 4/2018) wurden die folgenden Wirkungskategorien (ausschließlich der Wirkungskategorien Toxizität) auf der Grundlage normierter und gewichteter Ergebnisse als die relevantesten identifiziert:  

Für die Weinerzeugung: Klimawandel; Ressourcennutzung - fossile Rohstoffe; Ressourcennutzung - Mineralien und Metalle; Feinstaub; Landnutzung; Boden- und Süßwasserversauerung.

Für Schaumweine: Klimawandel; Ressourcennutzung - fossile Rohstoffe; Wassernutzung; Ressourcennutzung - Mineralien und Metalle; Feinstaub; Landnutzung.

[7] Die verfügbaren Methoden zur Quantifizierung der Auswirkungen dieses Parameters sind noch nicht ausreichend.